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Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den Betriebskosten 2016
BGH, Urt. v. 21.11.2017 – VIII ZR 28/17
Keine Duldungspflicht des Mieters für bauliche Maßnahmen, die den Charakter der Mietsache grundlegend verändern würden.
Der Fall: Die Eigentümerin einer Reihenhaussiedlung (Am Steinberg in Berlin Tegel) kündigt den Mietern umfangreiche Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten an, u.a. eine neue Wärmedämmung an der Fassade, am Dach und an der Bodenplatte, neue Spülmaschinen- und Waschmaschinenanschlüsse, Entfernung der Drempelwände, Ausbau des Spitzbodens über dem Obergeschoss, neue Treppe, Tieferlegung des Bodenniveaus. Die Miete soll sich nach Abschluss der Baumaßnahmen vervierfachen. Die Mieter wollen nicht dulden und berufen sich u.a. auf eine Klausel in ihrem Mietvertrag:
§ 6
”(1) Der Vermieter darf Ausbesserungen und bauliche Veränderungen, die zur Erhaltung des Hauses oder der Mieträume oder zur Abwendung drohender Gefahren oder zur Beseitigung von Schäden notwendig werden, auch ohne Zustimmung des Mieters vornehmen.
(2) Ausbesserungen und bauliche Veränderungen, die zwar nicht notwendig, aber doch zweckmäßig sind, dürfen ohne Zustimmung des Mieters vorgenommen werden, wenn sie den Mieter nur unwesentlich beeinträchtigen.”
Die Entscheidung: Der BGH lehnt eine Duldungspflicht gem. § 555b Nr. 4 und 5 BGB ab. Zwar zeichne sich eine Modernisierungsmaßnahme dadurch aus, dass sie über die bloße Erhaltung des bisherigen Zustands hinausgehe. Allerdings dürfte die Mietsache nicht so verändert werden, dass etwas Neues entsteht. Dies sei hier aber der Fall. Die angekündigten Modernisierungsmaßnahmen seien so weitreichend, dass ihre Durchführung den Charakter der Mietsache grundlegend verändern würde. Sie beschränkten sich nicht auf eine Verbesserung des vorhandenen Bestands, sondern sollen u.a. dazu führen, dass der Grundriss verändert und einen anderen Zuschnitt erhält. Bei solch weitreichenden Maßnahmen könne nach der Verkehrsanschauung nicht mehr von einer nachhaltigen Erhöhung des Wohnwerts der Mietsache (§ 555b Nr. 4 BGB) oder einer dauerhaften Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse (§ 555b Nr. 5 BGB) gesprochen werden.
Anmerkung: Der BGH bestätigte damit die Auffassung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Amtsgericht Wedding (Urt. v. 28.7.2016 – 17 C 43/16) wies die Duldungsklage des Vermieters ab, weil eine Modernisierung dann nicht vorliege, wenn etwas völlig Neues geschaffen würde und die Identität der Räume nicht gewahrt bleibe.
Das Berufungsgericht (LG Berlin, Urt. v. 8.12.2016 – 67 S 276/17) vertrat die Auffassung, der Duldungsanspruch scheitere schon an § 6 des Mietvertrags: da der Mieter den Baumaßnahmen nicht zugestimmt habe, dürfe der Vermieter sie auch nicht durchführen. Der BGH widersprach dem: Eine solche Auslegung widerspräche den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Regeln zur Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Eine Auslegung dahingehend, dass der Mieter sämtliche Modernisierungsmaßnahmen durch die Verweigerung seiner Zustimmung verhindern könne, entspräche nicht der Sichtweise von verständigen und redlichen Vertragspartnern.
Ausblick: Abgrenzungsschwierigkeiten zu BGH, Urt. v. 13.02.2008 - VIII ZR 105/07 (Vergrößerung von Badezimmer und Schaffung eines getrennten WC durch Wegfall der Speisekammer): „ Entgegen der Auffassung der Revision kann deshalb nicht allgemein angenommen werden, dass bauliche Maßnahmen, die mit einer Änderung des Wohnungsgrundrisses oder mit dem Wegfall eines Raumes verbunden sind, nicht zu einer Verbesserung des Wohnwertes führen und deshalb vom Mieter grundsätzlich nicht zu dulden sind“
BGH, Urt. v. 17.1.2018 – VIII ZR 241/18
Gewerbliche Zwischenmiete
Der Fall: Ein Unternehmen mietete in den 1960iger und 1970iger Jahren in Frankfurt/Main in großem Umfang von Wohnungen an (Hauptmietvertrag), um diese dann seinen Arbeitnehmern als Werkswohnungen zur Verfügung zu stellen (Untermietvertrag). Die Konditionen des Untermietvertrags waren dieselben wie des Hauptmietvertrags. Der neue Eigentümer kündigte den Mietvertrag mit dem Unternehmen und verklagt das Unternehmen und den dort wohnenden Arbeitnehmer auf Räumung und Herausgabe der Wohnung.
Hintergrund: Der Hauptmietvertrag zwischen dem Eigentümer und dem Unternehmen ist kein Wohnungsmietvertrag. Die Vermietung einer Wohnung an eine juristische Person (Verein, GmbH, KG etc.) ist stets eine gewerbliche Vermietung, weil eine juristische Person schon begrifflich nicht „wohnen“ kann (BGH, Urt. v. 16.07.2008 – VIII ZR 282/07). Daher kann ein solcher Mietvertrag, auch wenn er als Wohnungsmietvertrag bezeichnet ist, grundsätzlich ohne Vorliegen von Kündigungsgründen gemäß § 573 BGB ordentlich gekündigt werden (§ 580 a Abs. 2 BGB).
Das Schicksal des Untermietvertrags regelt § 565 Abs. 1 BGB:
§ 565 BGB
(1) Soll der Mieter nach dem Mietvertrag den gemieteten Wohnraum gewerblich einem Dritten zu Wohnzwecken weitervermieten, so tritt der Vermieter bei der Beendigung des Mietverhältnisses in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis zwischen dem Mieter und dem Dritten ein. Schließt der Vermieter erneut einen Mietvertrag zur gewerblichen Weitervermietung ab, so tritt der Mieter anstelle der bisherigen Vertragspartei in die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis mit dem Dritten ein.
Es müssen demnach zwei Kriterien erfüllt sein, damit der Hauptvermieter in den Untermietvertrag auf der Vermieterseiteintritt:
- Vertragszweck des Hauptmietvertrags: Weitervermietung der Wohnung
- gewerbliche Weitervermietung: Ist dies der Fall, tritt der Hauptvermieter bei Beendigung des Hauptmietvertrags in den Untermietvertrag als Vermieter ein. Hat er die Wohnung hingegen nicht gewerblich weitervermietet, sondern erfolgte die Untervermietung aus gemeinnützigen, karitativen oder ähnlichen sozialen Zwecken, geht der Untermietvertrag nicht über und er hat sowohl gegen seinen Hauptmieter als auch gegen den Untermieter einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe (§ 546 Abs. 2 BGB).
Gewerblicher Zweck = geschäftsmäßige, auf Dauer gerichtete, mit der Absicht der Gewinnerzielung oder im eigenen wirtschaftlichen Interesse ausgeübte Vermietungstätigkeit des Zwischenmieters
BGH, Urt. v. 20.01.2016 – VIII ZR 311/14: kein gewerblicher Zweck, wenn der Eigentümer mit einer Mieter - Selbsthilfegenossenschaft einen Mietvertrag abschließt, der die Weitervermietung des Wohnraums an deren Mitglieder zu einer besonders günstigen Miete vorsieht.
Die Entscheidung: Der BGH wies die Räumungsklage ab. Zwar sei der Hauptmietvertrag mit dem Unternehmen wirksam gekündigt worden. Der neue Eigentümer sei jedoch gem. § 546 Abs. 1 BGB als neuer Vermieter in den Untermietvertrag mit dem Arbeitnehmer eingetreten. Zum einen sei Vertragszweck die Weitervermietung der Wohnung an Arbeitnehmer gewesen. Zum anderen erfolgte die Weitervermietung auch gewerblich. Zwar habe das Unternehmen die Wohnung nicht mit der Absicht der Gewinnerzielung im klassischen Sinne an ihre Arbeitnehmer weitervermietet. § 565 Abs. 1 BGB gelte jedoch auch dann, wenn der Zwischenmieter mit der Weitervermietung eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt. Wenn ein Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer Wohnungen vermietet, verfolgte er damit auch eigene wirtschaftliche Interessen, weil er dadurch für das Unternehmen Arbeitnehmer an sich binden möchte und sich dadurch Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen verschaffen kann. Dies gelte umso mehr, wenn Wohnraum zu tragbaren Bedingungen für Mieter in einem Ballungsgebiet wie Frankfurt/Main nicht ohne weiteres zu finden ist. Die Anmietung und Weitervermietung erfolgte daher im Geschäftsinteresse und damit eigenen wirtschaftlichen Interessen.
BGH, Urt. v. 30.01.2018 – VIII ZB 74/17:
Konkludente Zustimmung zur Mieterhöhung
Der Fall: Der Vermieter fordert den Mieter zur Zustimmung zur Mieterhöhung um 47 € auf 432 € ab dem 01.02.2016 auf. Hierfür sollte der Mieter einen beigefügten Vordruck benutzen. Mit Schreiben vom 19.01. und 01.02. erinnerte der Vermieter an die Erteilung der Zustimmung. Der Mieter gab auch in Folge keine schriftliche Erklärung ab, zahlte aber die erhöhte Miete am 15.02., 04.03. und 06.04.2016. Am 22.4.2016 erhob der Vermieter Klage auf Zustimmung, die er im Mai, nachdem der Mieter schriftlich zugestimmt hatte, für erledigt erklärte. Amtsgericht und Landgericht legten die Kosten des Rechtsstreits dem Vermieter auf. Das Landgericht ließ die Rechtsbeschwerde zu.
Die Entscheidung: Der BGH bestätigt die Vorinstanzen. Der Vermieter habe die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er im Rechtsstreit unterlegen gewesen wäre. Denn der Mieter hatte bereits vor Klageeinreichung der Mieterhöhung zugestimmt. Eine Zustimmung könne auch konkludent erfolgen. Dies sei hier geschehen. Denn jedenfalls eine mehrmalige vorbehaltlose Zahlung des erhöhten Mietzinses könne als schlüssig erklärte Zustimmung des Mieters gewertet werden. Einen Anspruch auf eine schriftliche Zustimmung habe der Vermieter nicht. § 558 b Abs. 1 BGB schreibe eine bestimmte Form der Zustimmungserklärung nicht vor. Etwas anderes ergebe sich auch nicht dann, wenn im Mietvertrag eine sog. Schriftformklausel vereinbart ist, wonach Änderungen und Ergänzungen des Mietvertrags die Einhaltung der Schriftform bedürfen. Denn diese habe lediglich deklaratorischen Charakter und sei nicht Gültigkeitsvoraussetzung eins von ihr erfassten Rechtsgeschäfts.
Anmerkung: Eine sog. Schriftformklausel verstößt gegen § 305b BGB und könnte gem. § 307 Abs. 1 unwirksam sein (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 13. Aufl., § 558 b Rdn. 19), jedenfalls kann sie wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305b BGB eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden nicht ausschließen (BGH, Urt. v. 25.01.2017 – XII ZR 69/16).
Umstritten ist weiterhin, ob bereits eine einmalige Zahlung der erhöhten Miete für die Annahme einer konkludenten Zustimmung ausreicht (dafür: Börstinghaus, a.a.O.; LG Berlin, Urt. v. 20.07.2009 – 67 S 483/08, GE 2009, 1625; dagegen LG Berlin, Beschl. v. 03.01.2007 – 63 T 130/06, ZMR 2007, 196).
Ein Anspruch auf schriftliche Zustimmung kann jedoch bestehen, wenn der Mietvertrag für länger als ein Jahr abgeschlossen ist (§ 550 BGB).
BGH, Urt. v. 31.01.2008
Rückforderungen des Jobcenters
Der Fall: Die Miete in Höhe von 860,00 € für ein Einfamilienhaus zahlte das Jobcenter direkt auf das Konto des Vermieters. Das Mietverhältnis endete zum 31. Juli 2014. Am 24. Juli 2014 reichten die Mieter beim Jobcenter einen Mietvertrag über eine neue Wohnung ein. Am nächsten Tag wies das Jobcenter (irrtümlich) die Miete für August 2014 für das Einfamilienhaus an. Mit seiner Klage fordert das Jobcenter diese Zahlung zurück. Der Vermieter beruft sich auf Gegenforderungen gegen die Mieter, wegen derer er ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht und hilfsweise die Aufrechnung erklärt.
Hintergrund: § 22 Abs. 7 SGB regelt eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach alle Geldleistungen nach dem SGB II auf das Konto des Leistungsberechtigten überwiesen wird und dieser für den zweckgerichteten Einsatz der Mittel verantwortlich ist.
§ 22 Abs. 7 SGB
Soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. […]
Grundsätzlich sind fehlerhafte Leistungen in ihrem Leistungsverhältnis abzuwickeln (sog. Vorrang der Leistungskondiktion), in diesem Fall also zwischen Mieter und Jobcenter (sog. Deckungsverhältnis) und zwischen Vermieter und Mieter (sog. Valutaverhältnis). Der Mieter müsste demnach die Miete vom Vermieter zurückfordern und das Jobcenter müsste den Mieter in Anspruch nehmen. In diesem Fall könnte sich der Vermieter gegenüber dem Mieter auf Gegenforderungen berufen und die zu Unrecht empfangene Miete entsprechend kürzen (so z.B. Bay LSG, Urt. v. 21.01.2013 – L 7 AS 381/12; LG Berlin, Beschl. v. 13.03.2015 – 65 S 477/15).
Die Entscheidung: Der BGH gibt der Klage des Jobcenters statt. Dieses habe einen Anspruch gegen den Vermieter auf Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Augustmiete gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB. Zwar habe der Vermieter die Miete nicht durch eine Leistung des Jobcenters erhalten (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB). Denn es habe sich aus Sicht des Vermieters um eine Leistung des Mieters gehandelt. Dadurch, dass das Jobcenter den Betrag für die Miete gem. § 22 Abs. 7 BGB nicht auf das Konto des Mieters, sondern direkt an den Vermieter gezahlt hat, werde der eigentliche Charakter der Leistung als Geldleistung für den Hilfeberechtigten nicht geändert. Insbesondere ist das Jobcenter nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters (BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 173/15). Der Vermieter habe die Augustmiete jedoch „in sonstiger Weise“ gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB vom Jobcenter erhalten. Der BGH wendet dabei die vom für das Bankrecht zuständige XI. Senat entwickelten Regeln für die sog. Anweisungsfälle bei Widerruf an. Danach besteht bei einer fehlerhaften Überweisung dann ein unmittelbarer Bereicherungsanspruch der Bank gegen den Empfänger, wenn dieser den Widerruf oder die Zuvielüberweisung kannte, weil er dann wisse, dass es an einer Leistung seines Vertragspartners fehle. Diese Voraussetzungen seien auch im vorliegenden Fall gegeben, weil die Mieter durch Vorlage des neuen Mietvertrags am 24. Juli 2014 konkludent die Anweisung an das Jobcenter, die Miete gem. § 22 Abs. 7 BGB direkt auf das Konto des Vermieters zu überweisen, widerrufen habe. Zudem habe der Vermieter gewusst, dass ihm eine Miete für August 2014 nicht zusteht.
Ausblick: Die im Hinblick auf das Bereicherungsrecht geradezu lehrbuchhafte Urteilsbegründung ist interessant, erfasst jedoch letztlich nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Fälle, in denen das Jobcenter Zuvielleistungen erbringt. Denn grundsätzlich bleibt es beim o.g. Prinzip, dass die Rückabwicklung in den eigenen Leistungsverhältnissen verbleibt, d.h. nicht das Jobcenter, sondern der Mieter hat einen Anspruch auf Rückzahlung. Nur wenn der Mieter als „Anweisender“ zuvor der Zahlung widerspricht und der Vermieter weiß, dass die Zahlung nicht geschuldet ist, kommt ein Direktanspruch des Jobcenters in Betracht.
LG Berlin, Beschl. v. 12.9.2017 – 14 C 58/17
Kündigung wegen fortdauernd unpünktlicher Mietzahlung
Tilgungsbestimmung
Der Fall: Am 4. November 2016 erklärte der Vermieter eine Abmahnung wegen verspäteter Novembermietzahlung und älteren rückständigen und verspätet gezahlter Mieten aus. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die vom Jobcenter gezahlte Miete ging in den vergangenen Jahren stets vor Fälligkeit, nämlich Ende des Monats des vorhergehenden Monats ein (also z.B. am 29.1.2016 für Februar 2016). Der Vermieter buchte die Mieten entsprechend. Nachdem zunächst die Mieten für März bis Mai 2016 in Höhe von jeweils 499,60 € ausblieben, zahlte das Jobcenter diesen Rückstand insgesamt am 6.5.2016. Auch die Mieten August und September 2016 zahlte das Jobcenter erst im September 2016. Als nächste Zahlung folgte sodann am 28.10.2016 ein Betrag von 499,60 €, welchen der Vermieter mit der noch offenen Oktobermiete verrechnete. Auf diese Weise gingen nach Ansicht des Vermieters alle ab Oktober 2016 gezahlten Mieten jeweils mit mehrwöchigem Verzug bei ihm ein, weswegen er schließlich im März 2017 das Mietverhältnis kündigte.
Hintergrund: Unpünktlicher Zahlungen können sowohl eine fristlose Kündigung gem. § 543 Abs. 1 BGB als auch eine ordentliche Kündigung gem. § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB auslösen. Das gilt selbst dann, wenn die Zahlungen vom Jobcenter erfolgen. Zwar wird ein etwaiges Verschulden des Jobcenters dem Mieter nicht zugerechnet, weil das Jobcenter nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters ist (BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 173/15). Gleichwohl kann sich ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB auch allein aus der in der unpünktlichen Zahlung liegenden objektiven Pflichtverletzung und den für den Vermieter daraus folgenden negativen Auswirkungen ergeben. Denn das Verschulden einer Vertragspartei ist zwar ein in § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich hervorgehobener Umstand ("insbesondere"), dem bei der Gesamtabwägung regelmäßig ein erhebliches Gewicht zukommen wird; es stellt jedoch keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen eines wichtigen Grundes dar.
Hintergrund Tilgungsbestimmung: Zahlt der Mieter Teilbeträge und bestehen Rückstände, fragt es sich, wie diese Zahlungen zu verrechnen sind. Gem. § 366 Abs. 1 BGB kommt es hierbei primär auf den bei der Leistung erklärten Willen des Schuldners an, sog. Tilgungsbestimmung. Trifft der Mieter jedoch bei Zahlung keine Tilgungsbestimmung, ist nach der Reihenfolge in § 366 Abs. 2 BGB zu verrechnen. Das Problem bei den Zahlungen des Jobcenters ist zunächst, dass diese keine Tilgungsbestimmung enthalten. Da die Zahlungen zudem in der Regel vor Fälligkeit erfolgen, ist zu diesem Zeitpunkt die Miete des kommenden Monats noch gar nicht fällig, so dass § 366 Abs. 2 BGB keine Anwendung findet
§ 366 BGB Anrechnung der Leistung auf mehrere Forderungen
(1) Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt.
(2) Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.
Die Entscheidung: Das Landgericht weist die Räumungsklage des Vermieters ab. Der Mieter habe nicht seit November 2016 verspätet die Miete gezahlt. Denn der Vermieter hätte die am 29.10.2016 erhaltene Zahlung nicht mit der Miete für Oktober 2016 verrechnen dürfen, weil es sich um die Miete für November 2016 gehandelt habe. Entsprechend habe er auch die darauf folgenden Monate nicht verspätet gezahlt, sondern stets pünktlich, nämlich am Ende des vorhergehenden Monats. Damit sei nur die Miete für Oktober 2016 offen gewesen, was jedoch keine Kündigung rechtfertige.
Zwar habe das Jobcenter bei der Zahlung am 29.10.2016 keine ausdrückliche Tilgungsbestimmung getroffen. Zudem habe es zu diesem Zeitpunkt habe nur eine fällige Forderung gegeben, nämlich die noch offene Oktobermiete, weil die Novembermiete noch nicht fällig war, so dass nach § 366 Abs. 2 BGB nur die Möglichkeit mit der Verrechnung der Oktobermiete bestand. Allerdings sei § 366 Abs. 2 BGB vorliegend nicht anwendbar, weil sich aus den Umständen die Tilgungsbestimmung ergibt, wonach mit der Zahlung am 29.10.2016 die Novembermiete erfüllt werden sollte. Sind Dritte (§ 267 BGB) an dem Vorgang der Zahlung und Schuldtilgung beteiligt, so komme dem Dritten auch das Bestimmungsrecht zu. Die Sozialbehörden sicherten strukturell die Deckung des aktuellen laufenden Bedarfs des Berechtigten. Mit den Barzahlungen sollten die allgemeinen Lebenserhaltungskosten der Gegenwart des Bedürftigen bestritten werden. „Lassen sich mehrere Interpretationen für einen Eingang öffentlicher Geldmittel auf einem Mieterkonto annehmen (nämlich eine mit „eskalierender“ und eine andere mit „schonender“ Wirkung im Mietverhältnis), so entspricht es dem offenkundigen Interesse und dem gesetzlichen Auftrag der leistenden Behörde, die Tilgungswirkung mit den für den Mieter schonenden Folgen auszulösen. Dies hat die Vermieterseite als maßgebliche Tilgungsbestimmung i.S.d. § 366 Abs. 1 BGB zu beachten, und zwar auch dann, wenn nach dem gesamten Zahlungsverhalten der Behörde die Annahme eines Versehenes oder Irrtums nahe liegt.“
LG Berlin, Urt. v. 17.01.2018 – 18 S 308/13
Wohnfläche: Anrechnung von Balkonen und Terrassen
Der Fall: Es geht um eine Mieterhöhung gem. § 558 BGB. Der Mieter wendet u.a. ein, dass die Wohnfläche um 10% kleiner sei, als vertraglich vorgesehen (94,48 m²). Das Landgericht holte hierzu ein Sachverständigengutachten ein, welches eine Größe von 84,01 m² ermittelte und dabei gemäß Wohnflächenverordnung (WoFlVO) die Fläche des hofseitigen Balkons zur Hälfte zur Balkons zur Hälfte und die Fläche des straßenseitigen Balkons zu einem Viertel berücksichtigt. Streitig ist, wie die Fläche der Balkons zu bewerten ist.
Hintergrund: Haben die Parteien keine Vereinbarung über die zur Ermittlung der Wohnfläche anzuwendende Methode getroffen, ist der Begriff der Wohnfläche auszulegen. Eine gesetzliche Bestimmung zur Berechnung der Wohnfläche bei preisfreiem Wohnraum fehlt. Daher ist der Begriff der "Wohnfläche" auch bei frei finanziertem Wohnraum anhand der Bestimmungen der für preisgebundenen Wohnraum anwendbare Vorschriften (bis 31.12.2003: §§ 42 bis 44 II. Berechnungsverordnung (BV) – 50%- und ab dem 1. Januar 2004 die aufgrund § 19 Abs. 1 Satz 2 WoFG erlassene Verordnung zur Berechnung der Wohnfläche vom 25. November 2003 – 25%-), soweit die Parteien nichts Abweichendes geregelt haben oder ein anderer Berechnungsmodus ortsüblich ist (BGH, Urt. v. 24.3.2004 – VIII ZR 44/03).
Gem. § 4 Ziff. 4 WoFlVO sind die Flächen von Balkonen, Loggien, Dachgärten und Terrassen in der Regel mit ¼, höchstens jedoch mit ½ anzurechnen. Die ZK 65 des LG Berlin hatte in einem Urteil vom 19.07.2011 – 65 S 130/10, GE 2011, 1086 entschieden, dass es in Berlin örtlicher Übung entspreche, die Flächen von Balkonen, Terrassen und Loggien in Anlehnung an die II. BerechnungsVO weiterhin zur Hälfte anzurechnen.
§ 4 WoFlVO Anrechnung der Grundflächen
Die Grundflächen
1.
von Räumen und Raumteilen mit einer lichten Höhe von mindestens zwei Metern sind vollständig,
2.
von Räumen und Raumteilen mit einer lichten Höhe von mindestens einem Meter und weniger als zwei Metern sind zur Hälfte,
3.
von unbeheizbaren Wintergärten, Schwimmbädern und ähnlichen nach allen Seiten geschlossenen Räumen sind zur Hälfte,
4.
von Balkonen, Loggien, Dachgärten und Terrassen sind in der Regel zu einem Viertel, höchstens jedoch zur Hälfte
anzurechnen.
Die Entscheidung: Das Landgericht folgte dem Sachverständigengutachten und berücksichtigte den Balkon zur Straße nur mit ¼ der Fläche. Zwar hätten die durch den Sachverständigen durchgeführten Befragungen ergeben, dass rd. 75% der Teilnehmer die Flächen von Balkonen und Terrassen regelmäßig mit der Hälfte berücksichtigen. Allerdings hätten 80% dieser Teilnehmergruppe außerdem angegeben, dass sie die Wohnfläche nach der WoFlVO ermitteln. Damit sei kein einheitliches Bild einer Verkehrssitte entstanden, weil die WoFlVO eine Anrechnung von grundsätzlich ¼ und nicht ½ vorsehe. Damit wende die Mehrheit die WoFlVO fehlerhaft an. Es sei daher nicht gerechtfertigt, die bisherige häufig vorkommende Praxis als örtliche Verkehrssitte anzusehen. Die Mehrheit wende ein Regelwerk als verbindlich an, das bei zutreffender Anwendung eine anderweitige Flächenberechnung vorschreibe.
Anmerkung: Die zugelassene Revision hat der Vermieter eingelegt (VIII ZR 33/18).
Mit Urteil vom 4. Juli 2017 – 63 S 289/16 hielt die ZK 63 des Landgerichts Berlin, dass im Falle der Heranziehung der WoFlVO zur Bestimmung der Wohnfläche eine Terrasse üblicherweise mit 50% ermittelt wird. Zudem kann auch ein beheizter Kellerraum zur Wohnfläche gehören, wenn er im Mietvertrag in der Liste der vermieteten Wohnräume
gleichberechtigt im Rahmen der Aufzählung der typischen Wohnräume angegeben ist.
Dem stünden weder Bauordnungsvorschriften noch die Regelungen der Wohnflächenverordnung entgegen, weil diese in erster Linie nicht zivilrechtliche Vereinbarungen betreffen.
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